Warum nimmt die Lohnungleichheit zu?

“Die Löhne in Deutschland steigen weiter – aber auch die Ungleichheit wächst”, das ist die Erkenntnis aus der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung (1) über die Lohnentwicklung 2012 bis 2020. Die wichtigsten Ergebnisse sind, dass die durchschnittlichen verfügbaren Jahreseinkommen in Deutschland bis zum Jahr 2020 gegenüber 2012 inflationsbereinigt um 2.200 Euro steigen werden, wobei das niedrigste Lohnplus im Gesundheits- und Sozialwesen 1.050 Euro beträgt, während sich die Beschäftigten der chemischen und pharmazeutischen Industrie im gleichen Zeitraum über einem Anstieg um 6.200 Euro freuen können. Anzumerken ist, dass das Ausgangsniveau in der letztgenannten Branche bereits höher ist als im Gesundheits- und Sozialwesen.

Auffallend ist, dass die Branchen Chemie und Pharma, Auto und Fahrzeug, Elektro und Maschinenbau mit überdurchschnittlichem Lohnwachstum alles produzierende Industrien sind. Ihnen ist auch eine hohe Kapitalintensität sowie Innovations- und Technologieabhängigkeit gemein. Der technologischen Fortschritt sowie Economy-of-Scale-Effekte ermöglichen in relativ kurzer Zeit ein Wachstum in bisher nicht gekannten Ausmaß. Des Weiteren sind dies globalisierte Industrien, so dass die Mitarbeiter eben auch für den globalen Markt arbeiten und weniger vom heimischen Markt abhängig sind. Die Lohnzuwächse sind eben wegen dem überdurchschnittlichen (Produktivitäts-) Wachstum machbar.

Die Branchen Nahrungsmittel, Getränke und Tabak, Gesundheit und Soziales, Dienstleistung und Handel, Gastgewerbe und Beherbergung mit dem niedrigsten Lohnwachstum sind dagegen personalintensiv. Oftmals sind die unternehmerischen Einheiten klein und nur regional aktiv. Sie weisen nur geringe Produktivitätswachstumsraten auf. Die menschliche Leistung kann eben nicht wie bei einer Maschine beliebig gesteigert werden. Technologie kann die menschliche Leistung zwar unterstützen, aber sie kann oftmals noch nicht den Menschen in diesen Branchen ersetzen. Das Potential die Löhne in diesen Branchen zu erhöhen ist deshalb sehr begrenzt.

Diese Spreizung der Einkommensentwicklung nimmt tendenziell immer weiter zu. Begründet wird dies mit den Produktivitätssteigungen (siehe Studie, Seite 31 Tabelle 6 „Veränderung der Produktivität …“). Dabei hat gerade die fixierte Betrachtung auf die Produktivität ihre Nachteile, welche nicht in dieser Studie genannt werden. Die Beschäftigten der produktiven Industrien erhalten zwar höhere Lohnzuwächse, allerdings ist nichts über die Beschäftigungsentwicklung selbst genannt worden. Was ist wenn durch technischen Fortschritt in der Produktion Arbeitnehmer entlassen werden. Sind die Übriggebliebenen nun „produktiver“ geworden? Sie werden wohl kaum x-mal so schnell oder länger arbeiten können. Das erledigen die automatisierten Maschinen in den zukünftig fast menschenleeren Fabrikhallen. Der Wettbewerb um die verbliebenen gutbezahlten Jobs wird entsprechend härter.

Aber auch wenn in der deutschen Industrie weiterhin hunderttausend Menschen tätig sein werden, so werden sie zunehmend für einen globalen Markt fertigen. Einige wenige Riesenfabrikanlagen (z.B. Volkswagen in Wolfsburg) produzieren für ausländische Märkte. Dadurch fließt Kapital ins Inland – vorrangig an die exportierenden Unternehmen, die einen Teil dann in Form von Löhnen an die eigenen Mitarbeiter weitergeben. In den Importländer hingegen wurden und werden Fertigungskapazitäten für die günstigeren Importgüter abgebaut. Entsprechend haben dort Mitarbeiter ihre Arbeit verloren (z.B. die Textilindustrie, die größtenteils nicht mehr Europa sondern in Asien fertigen lässt). Eine nationale Sichtweise für globalisierte Märkte ist daher irreführend und führt so zu falschen Schlußfolgerungen.

Die niedrigste Produktivitätssteigerungen haben personalintensive Branchen. In der Bildung oder Betreuung macht es keinen Sinn die Anzahl der Kinder, Schüler, Studenten oder Patienten zu steigern. „Produktivitätsgewinne“ entstehen dann trotz größerer Anzahl nicht unbedingt. Fiskalisch kann die „Produktivität“ nur gesteigert werden, wenn die Kosten für diese Leistung steigen (z.B. höhere Kitagebühren). Wer will das aber schon. Insbesondere die Nachfrager nach Bildung, medizinischer Versorgung oder Betreuung ihrer Kinder haben oftmals nicht die höheren Einkommen (wie auch in der Studie festgestellt wurde), weil sie in den personalintensiven Branchen arbeiten.

Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung, fordert deshalb in der Studie: “Deutschland braucht Wachstum und muss international wettbewerbsfähig sein. Aber gleichzeitig dürfen nicht ganze Einkommensgruppen immer weiter abgehängt werden.” – Ja, das stimmt, Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit betrifft allerdings nur die Industriebranchen, welche bereits die überdurchschnittlichen Produktivitätssteigerungen haben, und weniger den einheimischen Handel- und Dienstleistungssektor sowie die Sozial- und Gesundheitsunternehmen. Die Forderung, dass insbesondere die unteren Einkommen nicht abgehängt werden dürfen, ist ebenso richtig wie auch löblich. Jedoch fehlt ihm eine Idee zur Lösung des Dilemmas. Wenn wenigstens eine Idee in der Studie stehen würde. So scheint es mir, dass kein Wille bzw. vielleicht auch kein Interesse besteht, die zunehmende unterschiedliche Lohnentwicklung zu verändern.

Dabei ist die ungerechte Verteilung eigentlich offensichtlich – wenn man sie nur erkennen will. Die Industrie zieht den Vorteil von gut ausgebildeten Mitarbeiter, die ihnen die Maschinen herstellt und programmiert. Ebenso entsteht noch die industrielle Leistung durch gesunde Mitarbeiter. Die globalisierten Industriekonzerne profitieren also von einem funktionierendem Bildungs- und Gesundheitssystem sowie von den mehr oder manchmal leider auch weniger vorhandenen Betreuungsmöglichkeiten für jung und alt. Die personalintensiven Branchen ermöglichen es der Industrie so erfolgreich zu sein.

Die Kosten für Gesundheit, Bildung und andere Sozialleistungen werden allerdings von sämtlichen Mitarbeitern aller Branchen zu gleichen persönlichen Anteilen (für die gesetzliche Sozialversicherungen als auch durch die Einkommenssteuer ) erbracht. Auch wenn aufgrund höherer Löhne Mitarbeiter der Industrie höhere persönliche Abgaben und Steuern leisten, wird es zunehmend so sein, dass unter gleichen Bedingungen die Branchen mit einem hohen Maschinenanteil (automatisierte Produktion) in der Summe weniger für das Gemeinwohl leisten als die personalintensive Branche. Somit bedingt das Eine (Globalisierung, Innovation, Automatisierung) auch das Andere (Produktivitätssteigerungen und dadurch Lohnzuwächse) innerhalb einer Branche – oder eben auch nicht. Es fehlt jedoch ein Ausgleich um die auseinanderdrifftenden Lohnentwicklung anzugleichen und so mehr Lohngerechtigkeit zu erreichen.

Dabei profitieren gerade die deutschen Globalplayer der Industrie vom guten Sozialwesen. Denn die deutsche Industrie beschäftigt viele Arbeitnehmer nicht wegen Deutschland (Im internationalen Vergleich sind die durchschnittlichen Arbeitskosten(2) in Deutschland mit 36,77€ je Stunde überdurchschnittlich.), sondern gerade wegen den deutschen Rahmenbedingungen (Ausbildung, Arbeitseinstellung und weiteren Gründen). Es ist daher höchste endlich einen Ausgleich zu schaffen.

Eine Abgabe, Umlage oder Steuer kann die Produktivitätsgewinne sozial gerechter verteilen. Die bisherigen Gewinne aus der Wertschöpfung fallen nämlich nur den Anteilseignern dieser globalisierten Industrieunternehmen zu, die diese jedoch nicht oder nicht genügend an die Gesellschaft zurückgeben. Mein Lösungsvorschlag ist die Einführung einer Technologiesteuer, welche ich bereits in den Blogpost erwähnte, als Umlage, so dass die Gewinne der Globalisierung und Automatisierung allen zugute kommen kann.

Quellen:

  • (1) Bertelsmann Stiftung (in Zusammenarbeit mit der Prognos AG) http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2015/juni/die-loehne-in-deutschland-steigen-weiter-aber-auch-die-ungleichheit-waechst/
  • (2) http://www.bdi.eu/Arbeitskosten.htm